Es könnte gestern gewesen sein – aber es sind an die fünfundzwanzig Jahre seitdem vergangen. Müdes Novemberlicht quälte sich durch das einzige Fenster in die Dürftigkeit des schmalen Zimmers. Da war ein eisernes Bett, eine selbstgezimmerte hölzerne Truhe – handbreit davon zwei beladene Werktische, daneben schwelten ein paar Holzscheite im kümmerlichen Kanonenöfchen. Wer dann ein bisschen näher hinschaute, spürte wohltuend: alles war sauber und aufgeräumt. Ein Regal an der Wand, darauf ein Dutzend Lehrbücher – darunter ein selbstgemalter Wandspruch: „Wir sind nicht auf der Welt, um glücklich zu sein, sondern um glücklich zu machen!“ Eine schräge Stiege hinunter, dann fand man bei der Haustür ein kleines Schild „Bernhard Koziol“.
Man schrieb das Jahr 1927. Der junge Koziol war knapp neunzehn Jahre – und gestern arbeitslos geworden. Seine Gesichtszüge waren älter. Da gab es Furchen und ein ständiges Grübeln – Niederschlag freudloser Jungenjahre. Aber da waren auch: ein heller, wacher Blick, ein gerades Wesen und ein Händedruck – fest, sympathisch und männlich. Nun, ich habe dies alles noch ziemlich deutlich vor mir, wenngleich in den Stürmen und Ereignissen der nun folgenden Jahre der Blick zueinander verlorenging. Regimewechsel, Auslandsjahre, Krieg, Niedergang – ich wusste nicht einmal, stand die bescheidene „Schlafzimmerwerkstätte“ noch – oder hatte ihr Besitzer den Kampf aufgegeben. Dann war alles gleichsam wie ein Märchen. Verschwenderisch und üppig lag die Frühlingssonne des Jahres 1952 über dem Odenwald. Im zauberhaften Widerspiel von Sonnenschein, jungem Grün und blauem Himmel sah ich erstmals das Werk … Daran ein einfaches Schild „Bernhard Koziol“. Und dann ihn! Derselbe Händedruck, der gleiche gerade Blick wie damals. Ich war wie benommen.
Das war ein „amerikanisches Schicksal“, ein unfassbarer Aufstieg, wie ich ihn selbst draußen nur vereinzelt erlebt habe – ein „bestseller“ nach amerikanischen Begriffen. |
Dazwischen liegt der atemberaubende, zähe Kampf eines Deutschen um den Aufstieg vom kleinen Heimarbeiter zum angesehenen Fabrikanten. Und gerade darum so erwähnenswert! Es ist ein Aufstieg aus dem Nichts – buchstäblich aus bitterster Armut heraus.
Ich habe mich eine Weile nicht sattsehen können im Anblick der wohlgesetzten, sauberen Architektur. Es ist gleichermaßen das vollendet künstlerische Portrait eines Kurhauses, eines Sanatoriums oder einer Akademie – nicht aber das einer Fabrik schlechthin. Fand so der einstmals selbstgemalte Spruch „Wir sind auf der Welt, um glücklich zu machen“ seine äußere, anschauliche Darstellung und Erfüllung? Genau so ist es! Ein Mensch, der mit zwölf Jahren die Wohnungsmiete für die Familie verdienen musste, mit fünfzehn Jahren auf dem Weg zur Selbstständigkeit war – dem Arbeitslosigkeit und tägliche Heimarbeit bittere Begleiter waren, verlor zu keiner Stunde den Glauben. Weder an Gott – noch an sich und seine Mitmenschen. Trotz täglicher Zermürbung in 16, 18 Arbeitsstunden. Trotz Verleumdung, Trotz Boykott. Dieser tief verankerte Wesenszug blieb ihm eigen, auch dann, als er längst seinen Weg gemacht hatte – und ein Fabrikant mit Millionenumsatz ist. Er blieb Mensch und Arbeiter. Einer von unseren! Ohne Dünkel und Überheblichkeit, ohne Villa und nennenswerte Privatansprüche.
Unverändert blieb sein Sinn für sein Werk und seine Arbeiter. „Es sind meine Mitarbeiter und Teilhaber“ sagt er. Sie nehmen denn in Wirklichkeit auch teil an der Schönheit und Zweckmäßigkeit des Werkes mit seinen luftigen Arbeitsräumen und großartigen Sonnenveranden. Sie nehmen teil an seinen stetig wachsenden Erfolgen: 450 Lohntüten – nicht der nackte Akkordlohn – das ist der sichtbare Ausdruck des Erfolges seines Werkes. Das geht in die Million! Seine Artikel reisen in alle Welt. Radiospulen, Verschlüsse, Bestecke und Dosen aus Plexiglas, Knöpfe, Kämme und Hunderte von Souvenirs. |
Solide, ordentliche Arbeit, die Aufsehen erregt und längst zu einem Qualitätsbegriff geworden ist. Gefertigt von besten Arbeitern mit teuersten Werkzeugen und Maschinen – darum gleichzeitig eine überzeugende Werbetat für Michelstadt und Odenwälder Wertarbeit. Mitten im Betrieb ist das Büro des Chefs. Die Tür ist jederzeit offen für eine Sprechstunde. Stärker ließe sich das soziale Moment gar nicht pointieren. Koziol hat eine offene Hand, bestätigte ihm einmal sein Bürgermeister. Es gibt eine Unterstützungskasse, gelungene Ausflüge und viel Verständnis für den Flüchtling. Die Arbeiter wissen das zu schätzen. Koziol hat ihnen Wohnungen erstellt und Häuser gebaut – und zinslose Darlehen gegeben. „Ich weiß es am besten, wie schwer das Leben sein kann“, stellte er einmal fest, „man muß einander helfen und ein bisschen weiter denken, als nur bis morgen!“ Koziol ist jung geblieben. Da er jung begonnen, fällt das fünfundzwanzigjährige Bestehen in sein dreiundvierzigstes Lebensjahr. Er ist federnd und elastisch – voll gesundem Optimismus. Seine Arbeiter wissen, dass er richtig kalkuliert. Er besitzt Vertrauen und weiß es zu erhalten. Er ersinnt selbst neue Fabrikationsmethoden. Bei aller Großzügigkeit seinem Werk gegenüber ist er für seine Person der Sparsame geblieben. Zu jeder Stunde ist er der erste Arbeiter seines Werkes. So wurde sein Leben zum Beispiel: für Ausdauer in der Verfolgung des Zieles – und für Lebensmut auch in schlechter Zeit.
Schicksal und Aufstieg – eng gekoppelt – geben zu denken. Seine Erfolge beweisen nämlich, dass Deutschland dem einfachen, ehrlichen Arbeiter Chancen zu geben vermag. Sie beweisen ferner, dass der Ausdauernde und Zielstrebige in unserem Lande auch ohne Beziehungen, Parteibuch und Schwarzhandel Karriere machen kann. Man sollte das überall zur Kenntnis nehmen, wo Hoffnungslosigkeit und Not anpochen.
Jacy Ingenbrand Wiesbaden, Nerotal 10 |