Die Welt der Schneekugeln und Traumkugeln
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Allgemeine Zeitung

 

 

Kleine Welt im Flockenwirbel

Schneekugeln sind wieder beliebte Sammelobjekte

Von unserem Redaktionsmitglied BEATE WACHTEL

Das Sammeln muss ein Urtrieb des Menschen sein. Immer wenn es ums Überleben ging, wurde gesammelt, nicht nur in grauer Vorzeit auf der Entwicklungsstufe der „Jäger und Sammler“. In jeder Notzeit, während und nach jedem Krieg, sammelten die Menschen. Und was hat man vor 45 Jahren nicht alles gesammelt: Bucheckern, Kräuter, von Güterwagen herabgefallene Kohle, auf Äckern zurückgelassene Kartoffeln, Holz und Tannenzapfen im Wald.

Mit wachsendem Wohlstand, als man aus dem Behelfsmäßigen heraus und Neues, Modernes haben wollte, als sich die „Wegwerf“- Mentalität breit machte, schien das Sammeln aus der Mode zu kommen. Dass einmal unsere Großeltern Ansichtskarten, Zigarettenbilder und Mokkatassen gesammelt hatten, wurde belächelt und viel zu vieles weggeworfen. Leider – wie wir heute, da uns neue Sammelleidenschaft von Altem und Neuem erfasst hat, beklagen müssen.

Noch nie hat es so viele Flohmärkte, Sammlerbörsen, Tauschtage, Antik- und Trödelläden als Fundgruben gegeben.
Aus privatem Hobby ist ein blühender Gewerbezweig geworden.

Es gibt heute fast nichts, was nicht gesammelt wird. Zwischen A wie Abziehbild und Z wie eingepacktem Zuckerstück liegt Kostbares und Wertloses, liegen Kunst und Kitsch.

Die Grenzen sind fließend.

Zu begehrten Sammelobjekten sind auch die mit destilliertem Wasser gefüllten Schneekugeln geworden, wo unter Glas- oder Plastikglocke „im Handumdrehen“ die Flocken tanzen.

Die „kleine Welt im Schneegestöber“ in ihren vielfältigen Spielarten und mit den unterschiedlichsten Motiven hat inzwischen schon beträchtlichen Sammlerwert.

Passionierte Schneekugel-Sammler sind Uwe und Sigrun Leddin in Dudenroth bei Kastellaun im Hunsrück.

Sie sammeln seit fünf Jahren die kleinen liebenswerten Objekte, die schon längst nicht nur Kinderspielzeug oder Reisesouvenir sind.

Als das Ehepaar es vor zwei Jahren auf 1000 Kugeln und davon abgewandelte Briefbeschwerer gebracht hatten und die rund 5000 Exemplare der weltweit bekannten Sammlerin Juliane Seger dazu erwerben konnte, wurden die häuslichen Verhältnisse zu eng.

Der Psychologe, der bislang in der Suchtberatung tätig war, sah sich nach einer neuen Bleibe um.

Im Hunsrück fand er ein passendes schönes Haus, wohin er und seine Frau vor Zwei Jahren übersiedelten.

Inzwischen ist aus einer Liebhaberei zusätzlich ein Erwerbszweig geworden, die Firma Phoenix Art Products. Auf Spielzeug- und Geschenkartikelmessen, so erzählt Uwe Leddin, hätten sie Schneekugeln gesehen, die ihnen gar nicht gefielen. So gingen die Leddins daran, nach eigenen Entwürfen Schneekugeln vornehmlich im Ausland herstellen zu lassen.
Der Vertrieb erfolgt nach Katalogen und über Spielwarenmessen. Das Geschäft floriert; denn Schneekugeln liegen im Trend. Als neue Serie werden die Leddins auch wieder echte Glaskugeln auf den Markt bringen. Das bedeutet zugleich eine Rückbesinnung auf die Anfänge der Schneekugel-Herstellung vor rund 100 Jahren.

Rund 1000 ihrer Schneekugeln haben die Leddins zur Zeit an das „Deutsche Puppen- und Bärenmuseum Loreley“ in St. Goar ausgeliehen. Dort sind sie bis Jahresende im ausgebauten Dachstock des alten Hauses in der Sonnengasse unweit vom Bahnhof zu betrachten.

Die Sonderschau in St. Goar hat Uwe Leddin auf einen neuen Gedanken gebracht. Er plant ein eigenes „Schneekugel-Museum“ in der kleinen Stadt am Mittelrhein.

Ein Haus dafür hat er schon ins Auge gefasst. Ob Uwe Leddin seine Pläne schon im kommenden Jahr verwirklichen kann, bleibt abzuwarten.

In diesem Museum will er als kostbarstes Stück die vermutlich älteste Kugel – sie ist aus Glas, der Schnee aus gemahlenem Knochengebein – zeigen.

Dieses Stück stammt aus dem Privatbesitz einer Adelsfamilie im Münsterland.

Auf der Suche nach dem Ursprung der Schneekugel sind wir zwar nicht in der Zeit vor 100 Jahren, wohl aber vor 40 Jahren fündig geworden, und das im Odenwald. Dort entstand das „deutsche Schneekugelmärchen“.

Der heute 82jährige Seniorchef der Erbacher Firma Koziol, Geschenk- und Werbeartikelhersteller, erzählt gern die Geschichte so:

Als er im Jahre 1950 eines Abends ziemlich ermüdet bei dichtem Schneetreiben durch den Wald nach Hause fuhr und irgendwann einmal durchs ovale Heckfenster seines VW-Käfers zurückblickte, sah er plötzlich, oder vermeinte es zu sehen, dass ein Reh vorbeihuschte, ein Kitz vor einer Tanne stand, ein Hase mit großen Sprüngen davoneilte, gefolgt von einem prächtigen Hirsch.

Auch glaubte er ein Eichhörnchen mit Tannenzapfen, einen Förster mit Dackel und einen Engelreigen zu sehen.
Aus dem Trugbild oder Traum entstand die Schneekugel mit dem klassischen Oval.

Da Bernhard Koziol immer schon ein Mann mit viel Phantasie war, nimmt man ihm die Geschichte gern ab.

Dazu war er noch ein Mann mit geschickten Händen. Der Odenwälder Tradition verhaftet, gründete der 19jährige gelernte Elfenbeinschnitzer 1927 in der elterlichen Wohnung einen eigenen Gewerbebetrieb und begann mit seinem ersten Gehilfen in Lohnarbeit die beliebten Motive jener Zeit, zartblättrige Rosen, herzustellen.

Bald ging er beim Schnitzen von Blumen- und Tiermotiven dazu über, neben dem kostbaren Elfenbein auch Kunststoffe zu verwenden. Schon 1934 stellte Koziol als erste Odenwälder Elfenbeinschnitzerei auf der Leipziger Messe aus.

Das Sortiment erweiterte sich. Armreifen, Anstecknadeln und Broschen folgten, aus Elfenbein wie auch als Kunststoffimitat erhältlich. Die Motive wurden zierlich und putzig: Heinzelmännchen, Musikanten, Trachtenfigürchen als Vorläufer der späteren „kleinen Welt im Schneegestöber“.

Und damit sind wir wieder bei jenem verzauberten Winterabend angelangt, der Bernhard Koziol auf einen seiner besten Einfälle brachte.

Rotkäppchen und der böse Wolf, Maria mit dem Jesuskind, ein Dreimastsegler und eine winzige Tänzerin unter der Glashaube („Charming play-things that will dance right into your heart“ hieß es werbekräftig) begeisterten 1951 Kinder und Erwachsene in vielen Ländern der Erde.
Nun überspringen wir fast drei Jahrzehnte. 1984 feierte die Schneekugel bei der Firma Koziol ihr Comeback, jetzt aber vorwiegend mit Comic-Figuren und in größeren Formaten, um darin ganze Sektflaschen oder Geburtstagstorten unterzubringen. Und leise rieselt darüber der Schnee.

Neuester Gag sind Zucker- sowie Salz- und Pfefferstreuer in der Schneekugel. Die traditionelle Kugel mit Santa Claus ist mit einer Spieluhr ausgestattet.

Stephan Koziol, der inzwischen den Geschenkartikelzweig des Unternehmens in Erbach leitet, führt den neuen Erfolg der Schneekugel – wie immer sie auch im Innern gestaltet sein mag – darauf zurück, dass sie Kindheitserinnerungen beschwört.

Nun aber zurück an den Rhein, nach St. Goar. An den dort ausgestellten Exemplaren der Leddins lässt sich vortrefflich die Entwicklung der Schneekugel ablesen. Vorbild könnte ursprünglich die Weltkugel sein. Dazu passt auch der vielfach eingefügte blaue Hintergrund.

Die ältesten Kugeln sind aus Glas und sitzen auf einem Holzsockel.

Ihre meist religiösen, aus Wachs geformten Motive wie winzige Madonnen und Schutzengel sowie kleine Altäre zeigen an, dass es sich vornehmlich um Andenken an eine Wallfahrt handelte.

Dazu zählen auch Schneekugeln mit der „Schwarzen Madonna“, der Lourdes-Grotte oder mit einem Bernhardinerhund, das berühmte Fässchen am Hals und mit dem Spruch „Du warst seine letzte Rettung“. Ein wahres Prachtstück ist die große Kugel mit zwei Kommunionkindern, eingerahmt von weißen Orchideen. Einen breiten Raum nimmt „Maritimes“ mit Schiffen aller Art ein.

Zahllos sind auch die Märchenmotive, vornehmlich bei den Brüdern Grimm entliehen. Hinzu kommen Tiere aller Gattungen. Es gibt sogar einen kleinen Zoo mit Elefanten hinter dem Gitter und Menschen davor. Dass auch die Werbung schnell nach der Schneekugel griff, kann kaum verwundern.

Ein besonders hübsches Exemplar zeigt inwendig den schon legendären „TEE Rheingold“ auf der Fahrt am Rhein entlang und an Burgen vorbei. Ergänzt wird die zauberhafte Versammlung durch Landschaften und berühmte Bauwerke in aller Welt. Hinzu kommen Walt Disneys lustige Figuren, allen voran die Mickymaus.

Zu den Besonderheiten gehört eine vom Künstler signierte Kugel mit dem Titel „Kunstraub“.

Zwei winzig kleine junge Menschen starren auf den weißen Fleck an einer Wand, wo zuvor die „Mona Lisa“ gehangen hat.

Die Umweltverschmutzung wird dort angeprangert, wo über Hochhäuser und einen hustenden Berliner Bären statt des Schnees schwarzer Ruß herabrieselt.

In den Bereich der Kuriosität fallen Kugeln mit den Päpsten Johannes XXIII und Johannes Paul II. Humorvoll karikiert wird Franz Josef Strauß als bayerischer König mit einem Miniaturbierseidel.

Auf der Rückseite heißt es dazu: „ Aus den bayerischen Bergen wird die Rettung kommen.“ Was Kunst und was Kitsch ist, wird jeder selbst entscheiden müssen. Hauptsache aber, er hat seinen Spaß an der „kleinen Welt im Flockenwirbel“.

Bis zum Jahresende sind die Schneekugeln täglich von 10 bis 18 Uhr zu betrachten.

Wegen des zu erwartenden Interesses hat sich die Besitzerin des Museums, Eleonore Goedert, entschlossen, ihr Haus in den Monaten Januar, Februar und März an jedem Wochenende für Besucher zu öffnen. Von Montag bis Freitag bleibt es in dieser Zeit geschlossen.

Vom 1.April 1991 an ist dann wieder voller Betrieb von 10 bis 18 Uhr. Die Schneekugeln der Leddins werden vorläufig bis Ostern 1991 zu sehen sein.

 

Die Wiedergabe dieses Artikels erfolgt mit ausdrücklicher Genehmigung der Verlagsgruppe Rhein Main GmbH & Co. KG

 

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